Lernen von den Allerkleinsten

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Das Projekt Babywatching wird seit 2018 in der Außenstelle der Johannes-Kullen-Schule in Vaihingen erfolgreich durchgeführt. Babywatching fördert positive Eigenschaften wie Mitgefühl und Verständnis. Denn für viele unserer Schülerinnen und Schüler ist es eine besondere Herausforderung, sich in andere hineinzuversetzen. Wie man stabile Beziehungen zu Gleichaltrigen und Eltern aufbaut, konnten sie häufig nicht einüben. Die gute Nachricht: Empathie ist eine Fähigkeit, die erlernt und entwickelt werden kann. Wie das funktioniert, verrät Sabine Gutjahr, Mit-Initiatorin des Projekts.

Montag, 8.30 Uhr: In den drei Klassenzimmern ist es mucksmäuschenstill. Die Schülerinnen und Schüler schauen wie jede Woche gebannt auf die Leinwand. Thalea, ihr neustes Schulbaby, nimmt gemeinsam mit seiner Mutter Caroline am Babywatching teil. 20 Minuten verfolgen die Kids, wie Thalea spielt, gefüttert oder gewickelt wird. Und auch wenn man die Kleine nur anschauen und nicht anfassen kann, sind die Kinder die ganze Zeit konzentriert. Dies ist bei weitem keine Selbstverständlichkeit, denn viele von ihnen können nur schwer stillsitzen.

„Ich freue mich immer aufs Babywatching, weil ich gespannt bin, was Thalea macht.“ Yasin, 8 Jahre

Eigene Wahrnehmungen reflektieren

Eine kleine Spieluhr signalisiert das Ende der Beobachtungszeit. Jetzt dürfen die Kinder Fragen an die Mutter stellen. Sie interessieren sich für Thaleas Alltag und freuen sich über ihre Entwicklungsschritte. Dann verabschieden sich Baby und Mutter, und der Bildschirm wird dunkel. Nun folgt eine Zeit der Reflexion: Die Kinder notieren in einem Tagebuch, was sie erlebt, gespürt und empfunden haben.

Was haben sie gesehen? Wie interpretieren sie die Gefühle von Mutter und Kind anhand der Mimik und Gestik? Auch neue Fähigkeiten registrieren sie aufmerksam.
Die Kinder lernen „ihr“ Schulbaby kennen, wenn es erst wenige Wochen alt ist, und begleiten es ungefähr ein Jahr lang. Sobald das Baby laufen lernt, heißt es dann, Abschied zu nehmen.

„Schade, dass wir Thalea nur am Bildschirm sehen. Ich hoffe, dass sie uns irgendwann auch mal besuchen darf.“ Deniz, 10 Jahre

Wie Babywatching an die Schule kam

Denise Knapper, Lehrerin in Vaihingen, berichtete 2017 ihren Kollegen von ihrer Schwangerschaft. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte sich Sabine Gutjahr mit dem Thema Babywatching. Der Impuls dazu kam vom Experten für Bindungspsychologie und -pädagogik Prof. Dr. Karl-Heinz Brisch. Die Idee, diese Möglichkeit auch den Kindern der Johannes-Kullen-Schule anzubieten, war geboren. Sabine Gutjahr bildete sich weiter und wenige Monate nach der Geburt der kleinen Anne konnte das Projekt starten.

„Bis Anfang 2020 fand das Projekt vor Ort statt“, berichtet Sabine Gutjahr. „Ein Elternteil und das Baby kamen zu den Schülern. Sie saßen im Klassenzimmer auf einer Matte in der Mitte eines Stuhlkreises. Wegen Corona ist dies im Moment nur per Leinwand möglich. Aber wir hoffen natürlich, dass wir uns bald wieder live treffen können."

Eine Erfolgsgeschichte

„Beim Babywatching geht es um darum, Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen. Die Kinder beobachten, reflektieren und interpretieren das Baby sehr genau und gewinnen dabei wichtige Erkenntnisse über ihre eigenen Emotionen“, erklärt Sabine Gutjahr. „Bei allen Schülerinnen und Schülern zeigen sich dadurch deutliche Fortschritte in der Empathie. Die Kinder übertragen ihr neu gewonnenes Verhalten auf ihre Alltagssituationen. Sie sind weniger aggressiv, werden sensibler und können sich besser in ihr Gegenüber hineinversetzen.“

„Wir erleben immer wieder, wie sich die Schüler im Laufe des Babywatchings positiv verändern.“ Sabine Gutjahr und Denise Knapper

„Es gibt viele schöne Momente beim Babywatching“, freut sich Sabine Gutjahr. „Auch die Eltern und ihre Babys profitieren davon. Sie freuen sich auf die Begegnung mit unseren Schülerinnen und Schülern und ihr kaum zu stillendes Interesse am Baby. Am Schönsten sind aber die strahlenden Gesichter unserer Kinder und dass sich ihr Verhalten so deutlich zum Positiven verändert.“

Mehr zu Babywatching...

Der renommierte Bindungsforscher Prof. Dr. med. Karl-Heinz Brisch entwickelte das inzwischen weit verbreitete Präventionsprojekt B.A.S.E.: Baby-Beobachtung im Kindergarten und in der Schule gegen Aggression und Angst zur Förderung von Sensivität und Empathie. Grundlage seiner Arbeit waren Studien des bekannten Kinderpsychiaters und -analytikers Henri Parens. Der Überlebende des Holocaust floh im Kindesalter aus einem französischen Konzentrationslager. Seine Mutter verlor ihr Leben in Auschwitz. Geprägt vom eigenen Erleben führte Parens Studien zur Vorbeugung von aggressivem Verhalten bei Kindergartenkindern durch. Inwieweit Babywatching auch bei dementen Personen positive Auswirkungen zeigt, wird derzeit in Studien untersucht.

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